Leseprobe:

"Dämonenschließer"
von Diana Schwarzentraub

 

 

Prolog

 

Rot. 

Das lodernde Feuer fraß alle Farben und ließ nur das rote Licht und die schwarzen Schatten dazwischen zurück. Der Sonnenuntergang tat sein Übriges, erhellte das Rot und vertiefte das Schwarz der beiden Schatten, die sich in Nähe des Waldrandes gegenüberstanden. Schwer atmend. In geduckter Haltung. Zum Angriff bereit. 

Die kleinere der beiden schattenhaften Gestalten war ein Mann, der ein langes, schmales Schwert in der Hand hielt. Der andere war kein Mensch. Scharfe Krallen und Reißzähne ersetzten die Waffe. Spitze Ohren und ein Paar lederner Flügel ergänzten die annähernd menschliche Erscheinung. 

Etwa dreißig Meter trennten die beiden. Einige Sekunden hielten sie ihre lauernd geduckte Position. Dann stürmten sie, wie auf ein unsichtbares Zeichen hin, wieder aufeinander los.

Der Mann riss das Schwert hoch, über dessen Schneide im Abendlicht und Feuerschein leuchtend rote Funken liefen. Entschlossenheit sprach aus dieser Bewegung. 

Das geflügelte Wesen legte mit jedem seiner kraftvollen Sprünge mehrere Meter zurück. Seine Lippen entblösten scharfe Zähne, hinter denen sich ein Knurren löste.

Im Bruchteil von Sekunden trafen die zwei Schatten mit der Wucht der Urgewalt aufeinander. Ein Donnern erfüllte die Luft, als das Schwert des Mannes auf die Klaue des anderen traf. Für die Dauer eines Lidschlages hielten die Kämpfenden in dieser Position inne. Dann breitete der Geflügelte seine schwarzen Schwingen aus und erhob sich mit einem kräftigen Ruck in die Luft. Die beiden so verschiedenen Waffen lösten sich voneinander, und der Schwertträger hatte gerade genug Zeit, sich zur Seite wegzudrehen. Die Krallen seines fliegenden Gegners verfehlten ihn um wenige Zentimeter und gruben sich in den Erdboden.

Und für einen Augenblick schien sich die Kreatur vor dem Menschen zu verneigen. 

Der Mann nutzte den Schwung seiner Bewegung, rotierte noch eine Vierteldrehung weiter, fand sein Gleichgewicht wieder und rammte seinem Gegner die Klinge zwischen die halb geöffneten Schwingen in den Rücken.

Rote Funken liefen über die Schneide.

Rot.

 

 

Reander

 

Offensives Knacken abgestorbener Äste unter fremden Schuhsohlen riss mich aus dem Schlaf. Von einer Sekunde zur nächsten war ich hellwach und starrte mit klopfendem Herzen zwischen die wenigen Bäume, die mein Lager von der Straße trennten. Am Rand des Ringes aus Licht, den das Feuer um meinen Schlafplatz herum ausbreitete, stand ein Mann. Sein langer Mantel war nass, der Rucksack abgewetzt, die Stiefel dreckig und der Hut tief ins Gesicht gezogen. 

„Entschuldigt die Störung. Ich wollte Euch nicht erschrecken!“, sagte er und kam zwei Schritte näher, während ich ihn aus blauen Augen anstarrte. 

„Ich habe Euer Feuer vom Weg aus gesehen“, erklärte er weiter. „Und ich habe gehofft, dass ich mich hier etwas aufwärmen kann.“ Er lächelte verlegen, nahm den Hut ab und schlug ihn gegen seinen Mantel. Wassertropfen lösten sich und fielen auf den aufgeweichten Boden. 

Langsam ließ ich die Luft entweichen, die ich reflexartig angehalten hatte, und schälte mich aus der feuchten Decke. Er hatte mich erschreckt. Ich war es nicht gewohnt, ganz alleine unter freiem Himmel zu schlafen, und der Wald und die Dunkelheit, in denen es von wilden Tieren vermutlich nur so wimmelte, waren keine sehr beruhigenden Begleiter. Je länger ich darüber nachdachte, umso erleichterter war ich, hier draußen ein menschliches Gesicht zu sehen. Wenn auch ein unbekanntes.

Dem Fremden in die verwitterten bärtigen Züge lächelnd wies ich auf einen Platz am Feuer. Er ließ sein Gepäck zu Boden gleiten und setzte sich neben mich. Gähnend streckte ich meine steifen Gliedmaßen und strich mir die schwarzen Haare aus dem Gesicht, die für gewöhnlich in großen Wellen über meinen Rücken fielen, im Moment allerdings eher nass daran klebten. 

„Wann hat es aufgehört zu regnen?“, fragte ich, als mir auffiel, dass sich das stetige Prasseln, das mich schon seit Tagen begleitete, in ein gelegentliches Tropfen aus den Baumkronen verwandelt hatte. 

„Vor etwa einer Stunde“, antwortete er und ließ seinen Blick dabei durch mein Lager gleiten. 

Viel gab es nicht zu sehen. Das kleine rauchende Feuer, meinen großen Rucksack, den mehrere Lederriemen verschlossen, einen Wasserschlauch, den grünen Umhang, auf dem ich saß, und zwei graue Decken. Alles feucht ebenso wie das, was sich im Rucksack befand: etwas Kleidung, Proviant, ein paar Münzen, leeres Papier, Feder und Tinte, einige Kerzen, ein abgegriffenes Päckchen und ein Brief. Also beinahe mein ganzes Leben.

„Was tut eine Frau ganz alleine hier draußen?“, fragte mein nächtlicher Gast, löste den Blick vom Lager und schaute mir aufmerksam ins Gesicht. In der Dunkelheit hinter uns knackte es. Eisiges Unbehagen stellte die Haare in meinem Nacken auf und ließ mich frösteln. Beunruhigt lauschte ich in die Nacht, hörte nichts weiter und richtete meine Aufmerksamkeit wieder auf meinen Besucher. 

„Ich bin auf dem Weg nach Mankindra“, antwortete ich schulterzuckend. „Die Dunkelheit kam schneller als, ich dachte. Bis zum nächsten Gasthof habe ich es nicht mehr geschafft.“ Diese Fehleinschätzung ärgerte mich immer noch, vor allem, da Mankindra bereits die nächste Stadt an der Straße war. Die vergangenen Nächte hatte ich in Gasthöfen verbracht und heute auf diesen Luxus besonders angesichts des schlechten Wetters nur ungern verzichtet. Wenigstens schonte diese Übernachtung unter freiem Himmel meine stark begrenzten Ersparnisse.

„Mankindra, so“, murmelte der Bärtige abwesend, während sein Blick nochmals über mein Gepäck glitt und er die Hände in die geräumigen Taschen seines Mantels schob. Er sah aus, als wäre eine Übernachtung in der Wildnis für ihn mehr als alltäglich. Vielleicht konnte ich ihm ja einige spannende Geschichten entlocken. 

Ein erneutes Knacken und Rascheln im Wald lenkte mich von meiner Vorfreude auf eine gute Geschichte ab. Nervös fuhren meine Augen am Rand des Lichtkreises entlang. Wieder ein Geräusch in unserem Rücken. Aber diesmal war es ein Bersten. Laut und bedrohlich. Der Mann an meiner Seite sprang auf. Mein Kopf fuhr zu ihm herum. Er hielt ein Messer in der Hand. Woher? Ein Knurren drang aus dem Wald, und dann schoss etwas Großes zwischen den Bäumen hervor. Beinahe zweieinhalb Meter Muskeln, Krallen, Reißzähne und ... Flügel. Alles schwarz. Es bewegte sich schnell.

Während ich noch versuchte, auf die Füße zu kommen, stürzte es sich auf den Mann neben mir. Der chancenlose Dolch wurde ihm aus der Hand gerissen, und das geflügelte Monster grub Krallen und Zähne in seine Brust und seinen Hals. Einer der schwarzen Arme traf mich. Er streifte mich nur, doch das reichte aus, um mich davonzuschleudern. 

Mein Kopf schlug schmerzhaft gegen einen Baumstamm. Vor meinen Augen verschwamm das Lager. Ich kämpfte gegen die Bewusstlosigkeit an, während ich hilflos dabei zusah, wie der Mann einen schrillen Schrei ausstieß, der zu einem blutigen erstickten Gurgeln wurde, als der geflügelte Angreifer ihn regelrecht zerfetzte.

Schließlich ließ die Kreatur von ihrem Opfer ab und wandte sich mir zu. Sie ging aufrecht auf zwei Beinen. Bewegungsunfähig rang ich noch immer um mein Bewusstsein, doch während ich dalag und das Wesen langsam auf mich zukam, merkte ich, dass ich diesen Kampf nicht gewinnen konnte. Die Panik in mir war stark, aber nicht stark genug, um gegen den heftigen Schlag, der meinen Schädel erschüttert hatte, anzukommen. Langsam und gegen meinen Willen schlossen sich meine Augen. Das Letzte, was ich sah, war der Umriss des Monsters, das schon viel zu dicht vor mir stand ...